VOGL JOHANN NEPOMUK [1802-1866]
Ave Maria
Der Sturm durchbraust des Berges Kamm, Der Räuber liegt am Eichenstamm, Sein Blick hoch in den Lüften irrt, Ihn freuts, wie das so saust und schwirrt.
„Wohl“ spricht er, „wars ein schönrer Klang Der mir als Kind zu Ohren drang, Wenn sie nach heißer Tagesmüh’ Geläutet zum Ave Marie“
„Ach könnt’ ich hören nur einmal In meinem Leben noch den Schall Vom Heimatsturm, so friedlich sanft Wie einst am grünen Wiesenranft!“
So denkt des Waldes blut’ger Sohn Und geht zur Höhle, wo im Frohn Des Lasters sie beim Zechgelag’ Verschweigen ihren Sündertag.
Doch kann so Wein als Becherklang Bezähmen nicht den inner’n Drang, Und klarer wird’s ihm fort und fort: Er muss zu seinem Heimatsort.
„Lebt wohl“, so ruft er also bald, „Kann länger weilen nicht im Wald, Mich treibt ein fremder, inn’rer Geist, Der mich zur Heimat wandern heißt.“
„Muss hören dort der Glocken Schall, Der niederweht in’s stille Tal, Und Frieden gibt, wenn Abends sie Ertönen zum Ave Marie.“
Drob aber lacht der Brüder Schar — „Willst werden wohl ein Büßer gar?’. Du Tor, im flachen Lande droht Aus jedem Busch dir sichrer Tod!“
Doch hemmt dies nicht des Räubers Gang Er hört ja nur den süßen Klang Wie einst, da an des Vaters Hand Als Kind er ging durchs grüne Land.
Und niedersteigt er aus dem Wald Zum Tal, vom Abendschein bestrahlt, Und wandert ohne Rast und Ruh’ Dem stillen Heimatsdörfchen zu.
Er geht und geht und wird nicht müd’, Bis wo im Korn der Mohn erblüht, Bis wo der Teuren Hütten steh’n, Die er so lang nicht hat geseh’n’.
Sind das Soldaten nicht, die dort Sich schleichen um die Felder fort? — Was kümmerte ihn, er denkt nur, wie Erklungen das Ave Marie.
Und horch, da tönts mit mildem Schall Vom Turm herab in’s liebe Tal. Es klingt, als sang’ ein frommes Lied Die Mutter ihm , die längst verschied.
Da wird’s ihm klar was er verbrach, Da wird die Reu’ im Innern wach, Da sagt ihm jeder Klang sogleich, Die Gott an Huld und Gnaden reich.
Und nieder sinkt er, wo er stand, Und faltet fromm die rauhe Hand, Und betet so, wie er noch nie Gebetet, zum „Ave Marle.“
Und wie er also betend kniet, Da rauscht es hinter ihm im Ried, Und durch den hellen Klang und Schall Der Glocken kracht ein dumpfer Knall.
Der Räuber stürzt, hinströmt sein Blut; Der Schütze traf nur allzu gut; - Doch sanft wie Sphärenmelodie Verhallet das Ave Marie.
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