RILKE RAINER MARIA [1875-1926]
Geburt Mariae
O was muß es die Engel gekostet haben, nicht aufzusingen plötzlich, wie man aufweint, da sie doch wußten: in dieser Nacht wird dem Knaben die Mutter geboren, dem Einen, der bald erscheint.
Schwingend verschwiegen sie sich und zeigten die Richtung, wo, allein, das Gehöft lag des Joachim, ach, sie fühlten in sich und im Raum die reine Verdichtung, aber es durfte keiner nieder zu ihm.
Denn die beiden waren schon so außer sich vor Getue. Eine Nachbarin kam und klugte und wußte nicht wie, und der Alte, vorsichtig, ging und verhielt das Gemuhe einer dunkelen Kuh. Denn so war es noch nie.
Von der Hochzeit zu Kana
Konnte sie denn anders, als auf ihn stolz sein, der ihr Schlichtestes verschönte? War nicht selbst die hohe, großgewöhnte Nacht wie außer sich, da er erschien?
Ging nicht auch, daß er sich einst verloren, unerhört zu seiner Glorie aus? Hatten nicht die Weisesten die Ohren mit dem Mund vertauscht? Und war das Haus
nicht wie neu von seiner Stimme? Ach sicher hatte sie zu hundert Malen ihre Freude an ihm auszustrahlen sich verwehrt. Sie ging ihm staunend nach.
Aber da bei jenem Hochzeitsfeste, als es unversehns an Wein gebrach, - sah sie hin und bat um eine Geste und begriff nicht, daß er widersprach.
Und dann tat er's. Sie verstand es später, wie sie ihn in seinen Weg gedrängt: denn jetzt war er wirklich Wundertäter, und das ganze Opfer war verhängt,
unaufhaltsam. Ja, es stand geschrieben. Aber war es damals schon bereit? Sie: sie hatte es herbeigetrieben in der Blindheit ihrer Eitelkeit.
An dem Tisch voll Früchten und Gemüsen freute sie sich mit und sah nicht ein, daß das Wasser ihrer Tränendrüsen Blut geworden war mit diesem Wein.
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